
Warum ich meinem Burnout dankbar bin
Ich hätte anders nicht verstanden, dass ich etwas ändern muss. Und auch nicht, was.
So bin ich eben, dachte ich früher. Unruhig. Immer ein voller Kopf, in dem tausend Gedanken gleichzeitig um meine Aufmerksamkeit kämpfen und ich schaue jeden nur einmal kurz an, ohne damit abzuschließen, weil sich dann schon der nächste in den Vordergrund drängt. Und weil ich mit keinem abschließe, kommen sie alle wieder. Und wieder. Voller Kopf, volles Leben. So bin ich eben. Gefräßiges Gehirn: Ich muss immer etwas Neues lernen, sonst, ja sonst was eigentlich? Ich weiß nicht, aber ich muss immer lernen. Immer in Bewegung sein.
Hauptjob, Überstunden, Nebenjob. Imkern, Radfahren, Buch schreiben, Bäume schneiden, schnell noch Joggen. Lesen, Lernen, Kurse machen. Noch mehr Schreiben. Ein voller Lebenslauf. So voll, dass ich irgendwann nicht mehr alles reinschreibe. So viele Verabredungen, dass ich irgendwann niemandem mehr von allen erzähle. Mit den ganzen Projekten, Hobbys und Plänen ist es das Gleiche. Bewegung, bloß kein Stillstand.
Jeder Tag ein irrer Tag, selbstgewählt
In der Bahn, auf dem Weg zur Arbeit an meinem Buch arbeiten. Dann Arbeit. Natürlich lang. Und ich sage zu selten nein, überlege nicht, ob diese eine Aufgabe jetzt noch hätte sein müssen, oder ob sie nicht bis morgen hätte warten können, oder ob ich es vielleicht zu kompliziert mache. Dann ist es schon Abend, zu lange gearbeitet, einige Adrenalinräusche gehabt. Ich schaue auf die Uhr. Ich komme zu spät zu meiner Verabredung, wenn ich nicht jetzt sofort losgehe. Wie fast jeden Abend sprinte ich die 15 Minuten zum Zug. Wie ein Teenager. Ich weiß auf die Minute genau, wann ich an welcher Ampel sein muss, um den Zug noch zu erwischen. Zug erwischt.
Keuchend klappe ich den Laptop auf und arbeite an meinem Buch weiter. Parallel beantworte ich Nachrichten auf dem Handy. „Es könnte sein, dass ich es nicht rechtzeitig schaffe. Ich musste heute länger im Büro bleiben.“ Und in meinem Kopf ist Stress, einfach nur Stress. Ich kann mich schlecht auf mein Manuskript konzentrieren und bin sauer auf mich, weil ich dadurch langsamer vorankomme, als ich es eigentlich wollte. Wie soll das Buch so jemals fertig werden? Die nächste Chance ist erst wieder morgen früh im Zug. Ich habe mein Wörterziel für diese Zugfahrt nicht erreicht.
Meine Haltestelle. Ich sprinte zum verabredeten Treffpunkt. Wenn ich nur schnell genug bin, komme ich gar nicht so sehr zu spät. Während ich renne, denke ich, dass ich mehr Sport machen möchte, gerade reicht es mir nur zwei bis dreimal die Woche. Ich finde, das ist zu wenig.
Ich habe tolle Freunde und die Menschen in meinem Leben sind mit Abstand das Allerbeste. Mit ihnen war es immer schon gut. Danke dafür! Und obwohl das so ist, brauche ich eine halbe Stunde, um einigermaßen von meinem Tag runterzukommen und mich auf das Treffen einzulassen. Ich überrede meine Freunde, dass wir spazieren gehen. Die kennen das schon von mir. Ich bin wie ein unruhiger Hund, der seinen Auslauf braucht, damit er mit sich selbst zurechtkommt. Also spazieren. Der Abend ist sehr schön. Eigentlich wollte ich nur bis 10 bleiben. Danach noch an einem anderen Projekt arbeiten und mit meinem Freund noch Zeit verbringen und eigentlich habe ich mir für heute Abend noch Yoga in den Kalender geschrieben. Als ich mich verabschiede, ist es fast 11 Uhr.
Das schuldige Subjekt legt sich ins Bett
Ich schaffe nicht alles, habe das Gefühl, ungenügend und vor allem undiszipliniert zu sein. Um 2 Uhr gehe ich unruhig ins Bett. Schuldiges Subjekt hat ein Philosoph im Fernsehen mal dieses Gefühl genannt, mit dem ich mich fast jeden Abend schlafen lege. Irgendwie finde ich das alles lustig. Ich komme mir vor wie eine Rebellin, die das Leben lebt, das von ihr verlangt wird und danach ihr richtiges Leben. Das, das sie leben möchte. Nochmal genauso lange, aber alles muss in 24 Stunden passen. Vor dem Schlafen kramt mein Gehirn gerne noch diesen einen nervigen Spruch heraus „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Ich muss kichern, warum ich das alles so lustig finde, weiß ich eigentlich gar nicht so genau. Fünf Stunden Später klingelt der Wecker, es geht wieder los. Ich schaffe nicht alles, habe das Gefühl, ungenügend und vor allem undiszipliniert zu sein. Um 2 Uhr gehe ich unruhig ins Bett. Schuldiges Subjekt hat ein Philosoph im Fernsehen mal dieses Gefühl genannt, mit dem ich mich fast jeden Abend schlafen lege. Irgendwie finde ich das alles lustig. Ich komme mir vor wie eine Rebellin, die das Leben lebt, das von ihr verlangt wird und danach ihr richtiges Leben. Das, das sie leben möchte. Nochmal genauso lange, aber alles muss in 24 Stunden passen. Vor dem Schlafen kramt mein Gehirn gerne noch diesen einen nervigen Spruch heraus „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Ich muss kichern, warum ich das alles so lustig finde, weiß ich eigentlich gar nicht so genau. Fünf Stunden Später klingelt der Wecker, es geht wieder los.
Das Ende zeichnet sich ab, den Anfang kann ich noch nicht sehen
Jahre lang habe ich nach der Gleichung Aktivität = gut gelebt. Ich hatte einen Lebensplan. Später wollte ich das, was ich als mein richtiges Leben verstand, leben. Später wollte ich schreiben, selbst über meine Zeit verfügen, viel Zeit mit lieben Menschen verbringen. Diese eine Sache muss ich noch machen. Nur diese eine. Dann, ja dann kann ich zufrieden sein. Davor aber nicht.
Der Zusammenbruch kam. Natürlich kam er. Auch wenn er ausgerechnet nach der Vorstellung meines ersten Buches kam. Das Buch war doch mein geliebtes Projekt. Das, wovon ich irgendwann in einer fernen Zukunft mal viel mehr machen wollte. Warum musste ich einen Tag nach der Premiere einen Zusammenbruch bekommen, der in einem Burnout gipfelte? Damals fand ich das sehr ungerecht. Heute glaube ich, dass das Buch wenig damit zu tun hatte. Im Gegenteil: ich habe noch so lange durchgehalten, bis ich diese Aufgabe, die mir so wichtig war, erledigt hatte. Und dann ging es los.
Es soll hier nicht darum gehen, wie die Tage aussehen, wenn man mitten in einem Burnout steckt. Schrecklich. So schrecklich, dass ich tatsächlich keine Worte dafür finde. Ich hatte schlimme Depressionen. Ich schlief 16 Stunden am Tag. Mein Gehirn war hyperaktiv, feuerte unterbrochen hektisch Gedanken hin und her. Phantomstress, nannte ich es irgendwann. Mein Leben war stehen geblieben. Es gab nichts, was ich mehr tun musste, keine Anforderung mehr, aber mein Gehirn schien den schlimmsten Stress seiner ganzen bisherigen Existenz durchzumachen.
Alles überforderte mich, erschöpfte mich, überreizte mich. Ich hatte eine furchtbare Unruhe in mir. Schon eine einfache Nachricht von einem lieben Menschen konnte mir so zu viel sein, dass ich danach schlafen oder sie ignorieren musste. Nichts ging mehr. Ich konnte mir nicht mehr vertrauen. Hatte ich vergessen, wie man lebt? Wie man isst, wie man einfach nur die Küche aufräumt? Wie man einkaufen geht und die Stimmen und die Menschen aushält. Oder einfach eine E-Mail schreibt. Ich konnte nichts mehr davon. Und ganz langsam begann ich zu verstehen, dass es vielleicht nicht nur etwas mit den äußeren Reizen zu tun hatte. Dass ich nicht nur überarbeitet war. Dass nicht nur einfach die Arbeit zu viel gewesen war.
Stopp, das ist zu ungenau. Ja, die Arbeit war zu viel. Es war kein gesundes Umfeld, zu viel Stress, zu viel Chaos, kein einziger verlässlicher Tag. Ich war immer voller Adrenalin. Die Strukturen erlaubten es selten, einfach eine Aufgabe zu Ende zu machen und danach mit der nächsten anzufangen. Durchzuatmen auch nicht. Und auch der Kaffee mit Kollegen, den ich von früheren Stationen meines Arbeitslebens kannte, war bei dieser kaum möglich. Der Aufgabenberg war verrückt. Lange Arbeitszeiten und der 45-minütige Heimweg führten dazu, dass ich nicht selten erst um 21 Uhr erschöpft zu Hause ankam.
Meine Arbeit war der Auslöser. Es wäre trotzdem nicht richtig, nur die Arbeit für das, was ich in den folgenden Monaten erlebte, verantwortlich zu machen. Sie hat ihren Teil dazu beigetragen, aber andere Teile habe ich selbst mitgebracht. Es tat weh, mir das einzugestehen: Dass ist nicht nur dieses eine Projekt und noch dieses eine Projekt und noch dieses eine Projekt gewesen waren, die mich in diesen Zustand gebracht hatten. Es hatte auch etwas mit mir zu tun.
Therapie: Das Ende verstehen, den Anfang finden
Dass das alles auch etwas mit mir zu tun hatte, lernte ich in der Therapie. Ich lernte es, als ich Bücher über Burnout las. Und Texte von anderen, die etwas ähnliches vor mir durchgemacht hatten und die den Mut gefunden hatten, das mit einer Öffentlichkeit zu teilen. Sie machten sich verletzlich, um Menschen wie mir beizustehen. Und deswegen gibt es auch diesen Text. Ich schreibe ihn nicht, um davon zu erzählen, wie schlimm sich ein Burnout anfühlt. Das wird auch so jeder rausfinden, der es erlebt. Und wer es nicht erlebt, kann es sich nicht vorstellen. Zum Glück.
Ich schreibe diesen Text, weil ich Mut machen möchte. Weil ich Trost spenden und dieses kleine Fitzelchen Hoffnung weitergeben möchte, das auch mir damals geholfen hat, eine Einstellung zu finden, mit der ich beginnen konnte, mich neu zusammenzusetzen.
Denn: Dass dieses Burnout nicht nur von der Arbeit kam, sondern auch viel mit mir zu tun hatte, war keine schlechte Nachricht. Es war eine Gute. Damals war ich zu erschöpft und zu gefangen im Moment, um zu verstehen, wie gut diese Nachricht wirklich ist. Heute kann ich mich aus tiefstem Herzen über diese Erkenntnis freuen. Sie bedeutet: Ich bin kein Opfer. Kein Produkt meiner Umstände. Das muss ich zumindest nicht sein. Ich kann gestalten. Ich habe eine Stärke und Kraft in mir, zu der ich bisher wenig Verbindung hatte. Ich habe gar nicht gewusst, wie stark ich wirklich bin. Mein Leben ist ein großes, großes Geschenk.
Auch wenn diese Erkenntnis damals noch ganz zart war, es war ein Anfang. Schicht für Schichte legte ich diese Stärke frei, die begraben war unter Ängsten, Anpassung, Leistungsbereitschaft, Grübeln und jeder Menge Aktivität, Aktionen und Projekten.
Geduld und Nachsicht – selten geübt und jetzt so wichtig
Diese Stärke zu finden war und ist alles andere als leicht. Und es braucht viel Zeit und Geduld mit mir selbst. Ich musste die Leitplanken meines Lebens ändern. Mut war das Wichtigste dabei. Mut, mich viel zu hinterfragen. Was steckt wirklich dahinter, wenn ich Stress empfinde? Denn Stress ist ein Resultat. Keine schwere Erkenntnis. Aber eine, die ich bisher nicht genug verinnerlicht hatte. Was steckt hinter meinen Entscheidungen, hinter meinen Verhaltensweisen und auch hinter Ängsten? Ich musste dahin gehen, wo es wirklich unbequem war. Nicht immer hatte und habe ich genug Kraft und Mut dafür. Inzwischen weiß ich aber, dass es sich lohnt. Weil ich mich dadurch besser verstehe und die Möglichkeit habe, Alternativen zu bisherigen Denkmustern und Verhaltensweisen zu finden.
Das alles ist hart. Ich versuchte es, es klappte. Ich dachte, jetzt kann ich es, nur um beim nächsten Mal wieder zurückzufallen oder von dem gleichen, alten Muster in einer neuen Situation überrascht zu werden. Oder um den nächsten depressiven Schub, die nächste Erschöpfung zu erleben. Obwohl ich geglaubt hatte, ich hätte es jetzt verstanden, das würde nicht mehr passieren. Es passierte. Wieder und wieder. Wichtig war für mich, mich nicht entmutigen zu lassen, den Rückfall abzuhaken und es beim nächsten Mal besser zu machen. Eine gute Übung in Geduld und Nachsicht mit mir selbst.
Mich neu zusammenzusetzen war und ist ein Prozess. Einer, der alles andere als linear verläuft. Die Kurve bricht nach oben und nach unten aus, aber so lange sie insgesamt ansteigt, ist alles gut. Ich hätte diesen Weg ohne meine Therapie wahrscheinlich nicht gefunden. Das meine ich wirklich ernst. Ich möchte die größte Lanze, die ich finden kann, für Psychotherapie brechen. Natürlich kann ich nur für mich sprechen, von meiner Erfahrung berichten. Ich bin unendlich dankbar für meine Therapie. Ich kann wirklich nur jeden ermutigen, der spürt, dass er Hilfe braucht, sich diese Hilfe zu suchen und sich nicht von Scham, Ängsten oder Prokastination („Später mal. Vielleicht“) zurückhalten zu lassen. Bei mir war der Fall klar: Ich war arbeitsunfähig, krank geschrieben und konnte nichts mehr bewältigen. Natürlich ging ich hin.
So weit muss es ja nicht bei jedem kommen. Ich wünsche jedem, der diese Hilfe braucht, dass er den Weg dorthin früher findet. Wenn Du das hier liest, weil Du das Gefühl hast, auf einem ähnlichen Weg zu sein, wie ich es war, dann tu Dir jetzt einen Gefallen: Informiere Dich. Lass Dich beraten. Am Ende des Artikels habe ich Dir ein paar Anlaufstellen verlinkt.
Was ich über mich lernte
Die Begleitung und Hilfe zur Selbstreflexion, die ich von meiner Therapeutin bekam, hätte mir so niemand sonst geben können. Und das, obwohl es nicht an geliebten Menschen in meinem Umfeld mangelte, aber darum geht es überhaupt nicht. Selbst wenn mein Freund genau das Gleiche sagte, was ich ein paar Tage später von der Therapeutin hörte, konnte ich es erst richtig annehmen, als sie es sagte. Weil bei ihr und mir keine persönliche Beziehung mitschwang. Unsere Beziehung hat erst damit begonnen, dass ich als ein Haufen zersprengter Teile in ihrer Praxis auftauchte.
Dass mein altes Leben vorbei war, wusste ich in dem Moment, als ich zum ersten Mal die Praxis betrat. Und ich wollte es so. Ich war bereit, fast erleichtert.
In den folgenden Wochen und Monaten lernte ich, wie wichtig Ruhe ist. Mediation ist nichts für mich, hatte ich früher immer gedacht, dafür bin ich viel zu unruhig, dabei wird mir sofort langweilig. Inzwischen weiß ich, dass das Ausreden waren, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass ich Angst vor der Stille hatte. Dass ich damit nicht umgehen konnte. Und dass ich nie gelernt hatte, was Stille für mich tun kann.
Perfektionismus - Der immer plappernde Herr P.
Angst stand hinter ganz vielen Verhaltensweisen. Gut versteckt oder verkleidet, so dass ich sie ohne Hilfe nicht als Angst erkannt hätte. Vor der Angst versuchte ich mich durch einen selten abreißenden Strom an Selbstkritik zu schützen. Und durch meinen Perfektionismus. Ein fieses Konstrukt, das in sich so schlüssig ist, dass man den Perfektionismus an sich durchschauen muss, um daraus ausbrechen zu können. Ich hatte es ja oft gehört über die Jahre: Dass ich perfektionistisch bin und ehrgeizig und streng mit mir. Aber der Perfektionismus hat einen starken Selbsterhaltungstrieb und flüsterte mir immer ein: Stimmt doch gar nicht! Das denken die anderen nur. In Wahrheit machst du doch total viele Fehler und bist so unzulänglich in fast allen Bereichen. Du bist scheinbar nur eine gute Schauspielerin. Oder sie sehen nicht das ganze Bild! Sie täuschen sich in dir. In Wahrheit kannst du doch kaum etwas gut. Perfektionismus ist eine Denkfalle. Genau deswegen war es für mich am Anfang so schwer für mich anzunehmen, dass ich oft von Perfektionismus gesteuert bin. Ich dachte natürlich, meine Therapeutin täuscht sich in mir und schätzt mich falsch ein. Erst diese in sich geschlossene Denkweise, die zwingende Logik des Perfektionismus, brachte mich langsam darauf, dass sie wohl recht hatte.
Heute glaube ich, dass Perfektionismus eine Illusion ist. Eine Falle, die uns unglücklich macht, wenn wir in sie tappen, weil wir uns nur enttäuschen können. Das soll natürlich nicht heißen, dass man nie hohe Ansprüche an sich stellen soll. Aber ich glaube, man sollte sich gut überlegen, wann man diese Ansprüche an sich stellt, woran man sich misst und wie man mit sich umgehen möchte, wenn man ihnen nicht (vollständig) gerecht wird. Denn das wird passieren. Oft =).
Ich kann meinen Perfektionismus nicht einfach ausknipsen. Er ist Teil von mir und bleibt Teil von mir. Es hilft aber schon, mir das bewusst zu machen. Wenn mein Leben eine Autofahrt wäre, würde der Perfektionismus immer mitfahren. Aber meistens schaue ich, dass er auf der Rückbank sitzt. Er darf Vorschläge machen, kommentieren, manchmal auch auf den Beifahrersitz, aber ich bin es, die entscheidet, wo wir langfahren, wie schnell wir fahren und so weiter.
Auch während ich diesen Text schreibe, quatscht mir mein Perfektionismus immer wieder zwischenrein. Heute kann ich öfter einfach drüber lachen. Ich habe meine Perfektionismus Herr P. genannt. Herr P. hat viel zu sagen, aber ich entscheide, ob ich zuhöre oder auf Durchzug schalte. Besonders bei diesem Text habe ich eigentlich keine Lust, ihm zu viel Aufmerksamkeit zu widmen. Also lasse ich Herr P. reden und mache weiter. Ich redigiere extra nicht so viel, wie Herr P. sich das wünscht. Dieser Text soll seine Echtheit nicht dadurch verlieren, dass ich ihn oft überarbeitet habe.
Mit dem Bauch denken
In den Jahren vor meinem Burnout habe ich fast schon systematisch mein Bauchgefühl ignoriert. Ich habe ihm seine Legitimation unbewusst abgesprochen. Bis es irgendwann total beleidigt war, dass ich immer nur auf den Kopf höre und nur noch ganz leise Anmerkungen gemacht hat. Es hat mich aber zum Glück nicht verlassen. In der Therapie lernte ich, wieder darauf zu hören, meinen Bauch in Entscheidungen mit einzubeziehen. Ich war erstaunt, was für einen Unterschied das für mein Wohlbefinden machte. Ich fühlte mich viel stimmiger und mehr im Einklang mit mir. Im Einklang ist übrigens eine Formulierung, die ich vor meinem Burnout als esoterisches Blabla abgetan hätte. Wie sich das wirklich anfühlt und wie wichtig das ist, ist mir erst in den letzten Monaten aufgegangen. Ich war arrogant. Zu meinem eigenen Nachteil. Aber ich wusste es eben nicht besser.
Das hilft mir heute
- In Verbindung mit mir sein und wenn ich die Verbindung verliere, es zu bemerken und die „Stimmigkeit“ wieder finden.
- Meditation.
- Sport, aber nicht um irgendetwas zu erreichen, sondern einfach nur, um meinen Körper zu spüren. Um mich gleichzeitig energiegeladen und ruhig zu fühlen.
- Mich nicht mit anderen vergleichen. Und mich nicht von den Erwartungen anderer leiten lassen. Nicht von einzelnen Personen, aber auch nicht gesellschaftlich. Klar, das ist nicht immer leicht.
- Mich so annehmen, wie ich bin. Ich bin mein eigener Mensch, mit meinem eigenen Weg. Und der ist oft nicht konventionell.
- Nicht ständig über die Erschöpfung hinweggehen, sondern die Zeichen kennen und sie ernst nehmen.
- Ruhe nicht als Zwangspause empfinden, sondern als schönes Geschenk, als etwas ganz Eigenes.
- Im Moment sein.
- Tagebuch schreiben.
- Täglichen Routinen folgen, die mir guttun. Aber ohne Zwang. Die Routinen so gestalten, dass sie mir Ruhe und Verlässlichkeit bringen und mir Freiraum für den restlichen Tag ermöglichen.
- Beim Arbeiten eine Balance zwischen festen Regeln und Spontanität finden. Die festen Regeln brauche ich als Selbstschutz, damit ich mich nicht überarbeite. Ich habe geregelt wann ich arbeite, wie lange ich arbeite und an welchem Tag ich woran arbeite. Aber ich nehme mir auch die Freiheit, diese Regeln zu brechen, wenn ich wirklich Lust habe, länger an etwas zu arbeiten genauso wie wenn ich gar keine Lust habe, zu arbeiten oder wenn ich meinen Tag lieber einmal ganz anders gestalten möchte.
- Gnädig mit mir bei der nachträglichen Bewertung von Situationen sein. Denn hier redet Herr P. besonders gerne rein und es ist besonders unnötig.
- Nein sagen, wenn ich etwas nicht möchte. Für mich immer noch eine große Aufgabe, aber es klappt schon besser.
- Wenn eine Situation dauerhaft zu negativen Emotionen bei mir führt und ich die Emotionen nicht ändern kann, dann versuche ich, die Situation zu ändern. Klingt platt, bringt mir aber viel. Allein das Wissen, dass ich nicht alles aushalten oder durchhalten muss, sondern etwas auch ganz anders gestalten kann.
- Ich kenne heute meine dysfunktionalen Anteile. Wenn ich merke, wie sie überhandnehmen, kann ich behutsam gegensteuern, ohne mich dafür fertig zu machen, dass es passiert ist. Es ist ein stetes Ausprobieren. Auch heute noch und das ist völlig in Ordnung so.
- Mehr Leichtigkeit in mein Leben lassen. Das ist eine Entscheidung.
- Mich bewusster entscheiden, welchen komplexen, negativen Gedanken ich mich aussetze und vor welchen ich mich bewusst schütze, weil es gerade nichts bringt, sie zu durchdenken. Früher dachte ich, darauf hätte ich keinen Einfluss, was passiert, passiert und darüber denke ich eben nach. Heute weiß ich zum Glück, dass ich viel mehr bei dem mitzureden habe, was in meinem Kopf so abgeht.
Das hilft mir heute
Das alles klappt nicht immer, aber schon recht oft. Ich bin zuversichtlich, dass es in Zukunft noch häufiger gelingen wird. Ich habe auch heute noch Tiefs und wenn mich eines erwischt, falle ich immer noch tiefer, als ich sollte. Aber ich finde schnell wieder raus und ich habe die Zuversicht und das Selbstvertrauen, dass das auch beim nächsten Mal so sein wird.
Was ich inzwischen ganz oft spüre: Ruhe. Zufriedenheit. Konzentration. Glück. Zuversicht. Toleranz. Selbstliebe.
Ein Burnout ist immer individuell. Ein Störungsbild mit vielen Einflussfaktoren. Es gibt nicht das eine Rezept dagegen und ich empfehle nicht, etwas einfach nachzumachen. Aber höre doch mal in Dich hinein, ob etwas von meiner Erfahrung Resonanz in Dir erzeugt. Spüre nach. Nimm das mit, mit dem Du etwas anfangen kannst und lasse den Rest ziehen.
Ich möchte dir Mut machen =). Wir alle können so viel mehr, als wir glauben.
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